Anhand eines Spazierganges durch Grenchen wird das Label «Kinder- und jugendfreundliche Gemeinde» erklärt
Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr haben kein Stimmrecht und können sich so politisch wenig an der Gesellschaft beteiligen. Mit der Zertifizierung «Kinderfreundliche Gemeinde» will UNICEF trotz fehlendem Stimmrecht den aktiven Einbezug von Kindern und Jugendlichen im Gemeindeleben fördern. Auch der Kanton Solothurn hat die Förderung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen für die Jahre 2019 bis 2021 als Schwerpunktthema festgelegt. Aus diesem Grund unterstützt der Kanton die Gemeinden finanziell und übernimmt 60 Prozent der Kosten bei der Erlangung dieses UNICEF-Labels. Bis heute sind lediglich Grenchen und Laupersdorf der 107 Gemeinden des Kantons als «Kinderfreundliche Gemeinde» ausgezeichnet.
Zwei Gemeinden im Kanton tragen bereits das Label
Laupersdorf war die zweite Gemeinde in der Schweiz und die Erste des Kantons, die sich mit dem Label zertifizieren liess. Der Gemeindepräsident von Laupersdorf, Edgar Kupper, erwähnt in einem Video des Kantons, «die Auseinandersetzung mit den Anliegen der Jüngsten in der Gemeinde verändert den Blickwinkel und hat schon viele positive Signale und Aktionen ausgelöst». Zudem erklärt Kupper, dass sich eine solche Auseinandersetzung schon in kleinen Momenten anbietet. In naher Zukunft soll beispielsweise eine Begegnungszone für und in Zusammenarbeit mit den Kindern und Jugendlichen sowie der Schule entstehen.
Als zweite Gemeinde des Kantons darf sich Grenchen seit dem Jahr 2018 als kinderfreundliche Gemeinde ausweisen. In einem Spaziergang durch Grenchen erklären Nils Loeffel, Leiter der Anlauf- und Koordinationsstelle für Kinder- und Jugendfragen des Kanton Solothurns sowie Mike Brotschi, Kinder- und Jugenddelegierter der Stadt Grenchen was Grenchen zu einer kinderfreundlichen Gemeinde macht.
Vom Stadthaus entlang dem Sek I Zentrum zum neuen Erlebnisspielplatz
Schon beim Startpunkt des kleinen Spazierganges weist Brotschi auf das Plakat der polysportiven Kinder-Camps, welche in der zweiten Frühlingsferienwoche stattfinden werden. «Die Jugendkommission, welche als Bindeglied zwischen der Jugend, der Stadt Grenchen und dem Gemeinderat funktioniert, unterstützt als eines ihrer vielen Projekte die polysportiven Lager für Kinder mit einem Beitrag.» Nach einigen Schritten führt der Weg zum neuen, sich noch im Bau befindenden Erlebnisspielplatz, entlang dem neu zusammengeführten Sek I Zentrum in Grenchen. Brotschi zuerst noch im Gespräch mit Loeffel hält inne und erklärt, wie sich die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen nach der Zusammenführung gewandelt haben. «Vorerst befanden sich hier Primarstufe und Oberstufe. Nun, nach der Zusammenführung erhalten ganz andere Interessen Einzug. Anstelle des noch stehenden Spielplatzes wird der Graffiti-Wand nun viel mehr Beachtung geschenkt.» Beim Erlebnisspielplatz angekommen, veranschaulicht Loeffel den Weg, welche eine Gemeinde geht, wenn sie sich zertifizieren lassen will. «Die Standortbestimmung ist der Ausgangspunkt des ganzen Prozesses. Dabei werden Lücken ausfindig gemacht, aber vor allem wird ein Bewusstsein dafür erschaffen, was die betreffende Gemeinde schon für Angebote hat.» Dieses Bewusstsein fehle bei vielen und das standardisierte Vorgehen von UNICEF biete hier eine gute Unterstützung, das bestehende Angebot für Kinder im Kleinkindalter bis hin zu Jugendlichen in ihren Zwanziger zu erkennen. Brotschi bestätigt diese Aussage: «Nach der Standortbestimmung mittels Selbstevaluation und Evaluation von UNICEF durften wir feststellen, dass Grenchen schon eine gute Positionierung in dieser Sachlage ausweisen konnte.» Nach der ersten Standortbestimmung wird an einem Massnahmeplan gearbeitet, welcher folglich in einem Aktionsplan umgesetzt werden soll. Klare Vorteile in der Zertifizierung sehen beide, Loeffel und Brotschi im Einbezug einer wichtigen und grossen Bevölkerungsgruppe. «Die unter Zwanzigjährigen machen 17 Prozent der Bevölkerung in Grenchen aus und diese gilt es auf Augenhöhe zu begegnen», betont Brotschi. Zudem finde mit der Zertifizierung ein Sinneswandel innerhalb der Gemeinden statt. Anstatt Ideen und Wünsche auszusprechen, gehe es im und nach dem Zertifizierungsprozess darum, konkrete Massnahmen umzusetzen und dafür brauche es Ressourcen. So wurde die Stelle von Brotschi als Standortförderer / Kultur, Sport und Freizeit sowie Kinder- und Jugenddelegierter von einem anfänglichen Teilpensum zu einer Vollzeitstelle. Anschliessend erklärt Brotschi, weshalb eine solche verwaltungsinterne Stelle den Kindern und Jugendlichen zugutekommt: «Im Gemeinderat sollen Themen interdisziplinär diskutiert werden können. Dabei sollte die Perspektive von Kindern und Jugendlichen, wenn möglich, immer berücksichtigt werden.» Nebst dem aktuellen Einbezug biete das Label auch eine nachhaltige Positionierung als attraktive Wohnstadt. «Das UNICEF Label bietet jetzigen und zukünftigen Einwohner der Gemeinden eine nachvollziehbare Grundlage. Es zeigt auf, wie konkret sich die Gemeinden mit den Themen betreffend Kinder und Jugendlichen auseinandersetzen», meint Loeffel.
Grosses Interesse auch bei weiteren Gemeinden
Laupersdorf und Grenchen werden voraussichtlich nicht die einzigen Gemeinden mit dem Label bleiben. «Ich war überrascht vom grossen Anklang und freue mich über sechs weitere Gemeinden, welche ihr Interesse am Prozess angekündigt haben», äussert Loeffel. Grund für dieses Interesse sieht Loeffel nicht unbedingt allein in der finanziellen Unterstützung des Kantons: «Die momentane Situation mit dem Corona Virus hat aufgezeigt, dass es wichtig ist, für alle Bevölkerungsgruppen passende Angebote zur Verfügung stellen zu können. Mehr noch sollte aber der direkte Kontakt zwischen der Gemeinde und den Kindern und Jugendlichen gut funktionieren. Es bedarf an kurzen Wegen, um die Bedürfnisse und Wünsche von diesen zu hören und umsetzen zu können.» Auch Brotschi würde den Zuwachs an weiteren kinder- und jugendfreundlichen Gemeinden begrüssen: «Sind wir mehr Gemeinden, die ein solches Label tragen, können wir uns in Erfahrungsgruppen austauschen und von den Erkenntnissen anderer noch mehr lernen.»
Partizipation ist noch verbesserungswürdig
Nicht nur der Erfahrungsaustausch zwischen den Gemeinden auch Gefässe für die ausserschulische Partizipation von Kindern und Jugendlichen sind wünschenswert. In einem vom Kanton ausgeführten Monitoring wurde erkennbar, dass der Kanton sich in den Themen Förderung und Schutz auf dem guten Weg befinde, in Sachen Partizipation noch Verbesserungspotenzial habe. Das bekannteste Instrument dafür ist ein Jugendparlament. Ein solches, wie auch ein Jugend- oder Generationscafé sind in Grenchen in Planung. «Das Label gilt es zu re-zertifizieren und ein Jugendparlament erlaubt es uns, auf der Partizipationsebene in direkten Kontakt mit den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen zu treten.» Mit dieser Aussage veranschaulicht Brotschi auch gleich das Bestreben der Gemeinde, das Label für eine weitere Periode von vier Jahren zu erlangen.
Abgerundet wird der Spaziergang mit einem Besuch im Lindenhaus der offenen Jugendarbeit und der Feststellung, dass angesichts der momentanen Situation, auch Aufenthaltsorte für Kinder und Jugendliche an der frischen Luft an Bedeutung gewinnen. «Wie der Pumptrack oder der neue Kinderskilift beweisen, das Bedürfnis ist da und wir wollen dieser Nachfrage mit dem neuen Erlebnisspielplatz sowie weiteren von Kindern und Jugendlichen mitgestalteten Aussenplätze gerecht werden», führt Brotschi, beim Stadthaus wieder angekommen, aus.
Dieser Artikel erschien erstmals am Samstag, 10. April 2021 in der Solothurner Zeitung. Klicke hier für die publizierte Version.
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